Was für ein Unsinn ist es, von der Ersetzbarkeit eines jeden Menschen zu sprechen. Wer Egmont kannte, ist geneigt diese Meinung zu teilen.
Mit großer Betroffenheit, Erschütterung und Trauer haben wir von Egmonts Ableben am letzten Sonnabend, den 7. Oktober 2023, erfahren. Der Tod kam zur Unzeit, unerwartet, und das ist es wohl auch, was all seine Freunde, Bekannten, aber nicht zuletzt uns, als seine Familie im Sinne der „Familienstiftung Sieberlehn von 1378“, fragen lässt, was von Egmonts Engagement nun alles ungetan bleiben wird. Er war mein Vorgänger im Amt des Collators der Stiftung und ich muss gestehen, es fällt mir schwer, mich an seinen Abdrücken in der jüngeren Geschichte des Stipendiums messen zu lassen und an dem, was er uns vorgelebt hat.
Jahre gemeinsamer Arbeit für die Stiftung haben uns einander verstehen und näher rücken lassen, so dass die Lücke nicht wieder geschlossen werden kann. Er war aufgeschlossen und idealistisch. Rein pragmatische Lösungen waren nicht in seinem Denkmuster verankert.
Unsere erste persönliche Begegnung fand vor zehn Jahren statt – 2013, vorher gab es ein paar Telefonate. Der Zweig unserer Familie, der zu den „Sieberlehns“ gehört, wurde erstmals zur Vorstandssitzung eingeladen. Egmont nahm mir die Scheu und den Respekt vor dieser und zukünftigen Sitzungen. Ich fühlte mich wohl und wir kamen ins Gespräch.
Ich versuche, mich zu erinnern. Wo sah ich ihn zum letzten Mal? Was bedeuteten die Gespräche mit ihm für mich? Es ist noch nicht lange her und niemand kam auf die Idee, dass es die letzte Begegnung sein könnte. Wir waren gemeinsam zur 5. Familienversammlung angereist, die am 17. Juni d. J. in Zerbst stattfand – die Familienversammlung ist jedes Mal ein Höhepunkt für unsere Stiftung. Egmont kandidierte diesmal nicht mehr für das Amt des Collators, welches er von 2008 bis 2023 ausfüllte und durch seine Persönlichkeit prägte. Mich schlug er als Nachfolger für dieses Amt vor - eine Ehre und Vertrauen, ein Amt, welches ich nun ohne seinen Rat und Hilfe ausfüllen muss.
Egmont wollte aber weiter für die Stiftung tätig sein und kandidierte für den Vorstand. Natürlich wurde er gewählt. Menschliche Qualitäten hat man aber nicht qua Amt. Sie müssen mitgebracht oder aber angeeignet werden. Was Egmont so liebenswert gemacht hat, sind eben gerade auch seine menschlichen Qualitäten. Sie waren es, die das hohe Maß an politischem, kulturellem und genealogischem Wissen nicht erdrückend machten und den Zugang zu dem objektiv Überlegenem ermöglichten. Attribute wie verständnisvoll, gütig, anteilnehmend, fleißig, ermunternd, herzlich bringen wir mit ihm in Zusammenhang und Erinnerungen werden wach, die langsam ein Bild malen. Natürlich kann ich hier nur für mich sprechen, wenn ich sage: Ich habe mich in seiner Nähe wohl und sicher gefühlt. Keine Spur von Angst, nur der Wunsch, ein wenig zu werden wie er. Er war eine echte Vaterfigur. Seine menschliche Größe brauchte niemanden unter sich. Er überragte nicht, weil er andere niederhielt, sondern indem er ganz bei uns war, begleitend, neben uns. Seine Zuwendung war persönlicher Art und sein Interesse galt dem Menschen. An der jeweiligen Person entzündete sich die Anteilnahme am Weg und Wohlergehen des Einzelnen.
Er hörte zu. Gern ließ er sich erzählen, wie es einem jedem der Familienmitglieder der Stiftung ging. Gut habe ich noch seine Rede zur Familienversammlung 2008 in Erinnerung. Er ging darin auf die riesige Anzahl von Nachkommen ein, die wir zwar alle nicht kennen, die aber, so sie und wir es wüssten, der Stiftung angehören würden. Ich konnte ihm dort ohne Vorbehalte alles sagen. Er versuchte, Rat zu geben und zu helfen. Er war in jedem Gespräch voll da, ohne belehrend zu wirken. Sein profundes Wissen über die politischen und kulturellen Ereignisse der letzten Jahrzehnte flossen unmerklich in das Gespräch ein. Seine Homepage trägt den Untertitel: „Für ein kulturreiches, fröhliches, streitbares Miteinander der Generationen in Chemnitz“. Hier haben zum Inhaltlichen profundere und kenntnisreichere Freunde geschrieben. Eines ist aber sicher, Egmont prägte durch seine Leidenschaft und Wirken nicht nur Chemnitz. So z.B. Egmonts Engagement 1967 – 1969 in der Studentenbewegung und als Referent im Allgemeinen Studentenausschuß (AStA), dessen Wirken und Egmonts im Speziellen, deutschlandweit registriert wurde. Mir ist aber wichtig: Ideen wurden weitergegeben und partnerschaftlich ausgetauscht. Nicht selten zog er einen Zettel hervor: „Das muss ich mir notieren!“
Ich habe ihn nur tätig und schöpferisch wirkend erlebt. Ein im Vorstand ausdiskutiertes Problem war für ihn stets der Anfang von neuen und weiterführenden Gedanken. Er war uns gegenüber fordernd und auch sich selbst gegenüber sehr anspruchsvoll.
Wir spüren hier den großen Verlust und die Fassungslosigkeit; denn so häufig sind die Menschen ja nicht gesät, mit denen man wirklich befreundet sein möchte. Es ist aber harte und bittere Wirklichkeit. „Wie tröstet ihr mich mit Nichtigkeiten!“, sagt Hiob zu seinen frommen Freunden im Alten Testament, als er von Gott schwer geschlagen wurde – und er lehnte jeden frommen Trost ab und will von Gott selbst Antwort haben. Wie wichtig ist dieser Abschnitt der Bibel, wenn wir jetzt Egmont begleiten. Als „menschlicher“ Trost bleibt ja auch, wie gnädig er bis kurz vor seinem Tod voller Pläne und mit Freuden an seiner Arbeit und an uns, der Stiftung, doch leben durfte, ohne jeden Schatten des Todes. Dafür dürfen wir alle dankbar sein. Es weiß aber auch jeder, wie wenig – trotz allem – das echter Trost sein kann. Wenn ich mir etwas wünschen kann, dann dies, dass diejenigen, die Egmont nahe standen, Menschen in ihrer Nähe haben, die einfach da sind und das Leid „mittragen“ – ohne viele Worte, einfach nur verstehen und das rechte Wort zur rechten Zeit sagen, oder auch nur zur rechten Zeit zu schweigen wissen.
Es möchte uns bei alldem Trost und Gewissheit sein, dass Egmonts Leben wohl wert war, gelebt zu werden. Und viele Menschen werden sich seiner stets in voller Achtung und Dankbarkeit erinnern.
Natürlich kommen jetzt viele Erinnerungen hoch, auch Trauer über all das, was man versäumt hat, solange noch Zeit war. Wir hatten Egmont in unser Herz geschlossen und sind dankbar für diese gemeinsame Wegstrecke. Die Stimme unseres treuen Freundes können wir direkt nicht mehr hören, nicht mehr sein Urteil, seinen Rat vernehmen, nicht mehr seine Tröstung erfahren. Vielleicht aber wird es uns geschenkt, unseren Mitmenschen auf seine Weise in Freundschaft zu begegnen.
Ein Freund – wie es ihn selten gibt - ist nicht mehr. Nicht zu begreifen, dass das nun nicht mehr sein wird: das Gespräch mit dem Freund, der so klug war und so gut und klar und freundlich, unbeirrbar in dem ihm und uns Wichtigen, offen zugleich für jede ehrliche Meinung anderer. Nicht zufällig, so will mir scheinen, kommen solch einfache und eindeutige Bezeichnungen in den Sinn, will man die Erinnerung an einen Mann festhalten, der mit so viel Kraft und Festigkeit und innerer Freiheit seinen Weg gegangen ist und gewirkt hat. Ricarda Huch sagte einmal: „Die Einschätzung der Persönlichkeiten, die im öffentlichen Leben hervorgetreten sind, wechselt wohl nach der jeweils herrschenden politisch-sozialen Richtung; schließlich aber gilt als rühmlich, was als echt und seiner inneren Berufung treu sich erwiesen hat.“ Echt und treu – nichts Schöneres und Treffenderes wüssten wir über Egmont Elschner zu sagen.
Berlin, 16.10.2023
Thomas Hans-Otto Bredendiek
(Collator der Familienstiftung „Sieberlehnsches Stipendium zu Zerbst“)